Gesamte Tourdaten
252 km – ↑ 9.792 hm – ↓ 10.617 hm – 5 Tage
Etappenlänge
40 km – ↑ 2.377 hm – ↓ 1.763 hm – Fahrzeit: 8:05 Std.
Zwischenstationen
- Rabbi
- Cercen alta
- Passo Cercen
- Malga Levi
- Celedizzo
- Fucine
- Vermiglio
- Passo Tornale
- Unterkunft: Hotel Negritella
Tour Beschreibung
Heute steht ein sehr anstrengender Tag auf unserem Plan. Wir müssen auf nur 40 Kilometer fast 2.400 Höhenmeter Überwinden, auf einem Pass, der es in sich hat: Passo Cercen auf 2.628 Meter. Die ersten 8 Kilometer mit durchschnittlich 12%, der letze Kilometer mit sage und schreibe 34% Steigung – mehr brauche ich nicht zu sagen. Dafür soll die Abfahrt Spitze sein, lassen wir uns überraschen!
Nach einem wieder mal tollen Frühstück und gut gelaunt geht es auch schon wieder los. Ach ja, bevor ich es vergesse, der «Wettergott» mein es wieder gut mit uns, herrlicher Sonnenschein und keine Wolke am Himmel. Klasse! Gleich vor der Haustüre streift der Schotterweg in Richtung Cercen alta. Es geht sofort zur Sache, obwohl unsere Glieder noch keine Chance hatten, sich auf das Kommende einzustellen. Mühsam quälen wir uns Meter für Meter hinauf. Der Untergrund ist wenigstes so beschaffen, dass es damit keine Problem gibt, einzig die Steigung gleich zu Beginn tut weh.
An einem Parkplatz finden wir eine kleine Brücke, eine gute Möglichkeit, Wasser nach zu tanken. Das war übrigens auf keiner Etappe bisher ein Problem, Wasser zu finden. Wenn ich da an letztes Jahr auf dem Monte Grappa denke, wird mir heute noch übel. Obwohl die Sonne scheint, weht doch ein leichter, aber merklich kühler Wind. Wir merken es nur, sobald wie stehen, beim Fahren ist uns das nicht aufgefallen. Ich entdecke eine große Holztafel mit einer Landkarte und inspiziere sie. Eine topografische Karte des Val Rabbi mit 11 eingezeichneten Walking Routen, aufgeteilt in die Kategorien leicht, mittel und schwer. Sind bestimmt auch gute Joggingstrecken. Wir wollen aber mit den Bikes weiter, also los geht’s.
Der Schotter wurde teilweise so steil, dass wir keine andere Wahl haben, als abzusteigen und zu schieben. Ein paar Wolken umhüllen in weiter Ferne die Gipfel der Berge, eine Rechtskurve und wir stehen vor einer Rampe. Ich schätze mal 300-400 Meter lang und extrem steil. Am Ende zeichnet sich ein Haus ab, das muss die Alm sein, die auf unserer Karte eingezeichnet ist. Wir wollen versuchen, Teile des Abschnitts zu fahren, doch bereits nach 50 Meter steigen wir ab, einfach zu steil. Schritt für Schritt laufen wir der Alm entgegen, der Untergrund ist feiner Schotter, also kein Problem. Auf luftiger Höhe stehen wir vor der Cercen Bassa, machen kurz stopp und beobachten das Treiben in der Hütte: Hier wird noch nach alter Tradition Käse hergestellt. Unser Blick streift über die Landschaft und den bereits zurückgelegten Weg – die Aussicht ist schon grandios. Der Schotterweg wird immer enger bis er schließlich in einem kleinen Pfad endet. Genau an der Cercen alta, einer kleinen Alm. Dort kann man sich an dem schönen Brunnen erfrischen und das weitreichende Panorama mit dem durchfahrenen Tal und dem höher liegenden Cercena-Pass bewundern.
Die Weite und Schönheit der Landschaft lenkt uns von den Strapazen ab. Selbst Wanderer haben hier ihre Mühe, den Weg nach oben zu kraxeln. Und wir mit unseren Bikes – da wird die Luft immer dünner und ab 35% Steigung ist Schluss mit lustig. Jürgen und ich gelangen an unsere Grenzen, beißen aber beide die Zähne zusammen und lassen es uns nicht anmerken. Auch der Rucksack drückt in den Rücken, das Gewicht ist auf so einem Anstieg kein Pappenstiel, man merkt jedes Kilogramm. Keiner will sich die Blöße geben, und so marschieren wir Schritt für Schritt, der Schweiß tropft, Sauerstoff scheint knapp zu werden. So eine Atemnot kennen wir nicht mal vom Madritschjoch auf 3.150 Meter, aber der Aufstieg war dort auch nicht so anstrengen und viel einfacher zu bewältigen. So vergeht Minute um Minute und wir kommen dem Pass immer näher. Auf einer Kuppe sehen wir ein typisches Passschild, ja wir sind bald da. Schwere Schritte, keuchend und der Erschöpfung nahe, erreichen wir das Schild, doch leider nur ein Plato, nicht der Pass. Wir verfolgen den Weg nach oben. Laut GPS-Daten müssen wir doch noch circa 100 Höhenmeter absolvieren. Pause! Hätten wir doch vorher mal geschaut, wären wir nicht so überrascht. Aber egal, das Wetter passt, ein heftiger Wind hier oben zieht durch die nassen Klamotten.
Die Gegend ist äußerst interessant, denn man kann hier verschiedene Tiere (Murmeltiere, Gämsen, Adler) und zahlreiche Pflanzenarten des Hochgebirges sehen. Aufgrund der Höhenlage ist es ratsam, entsprechende Kleidung auch für unverhoffte Wetterumschläge mitzunehmen. Das frische Quellwasser in unseren Flaschen ist lecker. Ab und zu, auch um etwas Geschmack einzubinden, haben wir das Wasser mit Isopulver gemischt. Circa 30 Gramm dieses Pulvers gemischt mit etwas Salz hat Jürgen zu Hause in Tütchen verpackt und durch einem Vakuumschweißgerät Luftdicht verschlossen. Jeder von uns hat 20 von diesen kleinen Päckchen im Rucksack und in der Satteltasche verstaut. Etwas Mineralien und Salz im Getränk hilft, den Mineralienhaushalt des Körpers wieder auszugleichen. Nach tollen Fotos gilt es, die letzen Reserven anzugreifen und den Gipfelsturm vorzubereiten. Es geht besser, als es aussieht, der Trail ist breit genug, das Bike lässt sich gut schieben und nach kurzer Zeit erreichen wir den Passo Cercen.
Alles ist vergessen, die Anstrengung vorbei, der grandiose Ausblick, die unendlichen Weiten hier oben sind überwältigend. Fotopause, Trikot wechseln, Windbraker an und einfach nur genießen. Am Übergang selbst liegt ein großer Steinhaufen, indem das Passchild steckt. 2.628 Meter. Das waren jetzt seit heute Morgen 1.328 Höhenmeter auf circa 8 Kilometer! Jürgen und ich klatschen uns ab und sind stolz auf das Vollbrachte. Ein paar Minuten schwelgen wir noch in diesem Glücksgefühl, dann sind wir gespannt auf die Abfahrt, von der ich anfangs gesprochen habe. Es ist eine der besten, die wir bis dato gefahren sind. Flow, kaum grober Schotter, alles top fahrbar. Es macht höllischen Spaß, sich dem Trail hinzugeben, eins zu werden mit der Piste und deinem Bike. Der Trail schlängelt sich 3 Kilometer mit 21% Gefälle am Hang entlang. Einfach nur Spitze! Der Aufstieg ist vergessen, die Belohnung aller Ehren wert! Es folgen unendliche Kehren, nicht immer einfach zu fahren, immer mit Blick ins tiefe Tal. Weiter geht die Abfahrt auf einem steilen und anspruchsvollen Weg, hier werden uns gute technische Fähigkeiten abverlangt. In Erinnerung an unseren Fahrtechnikkurs macht es viel mehr Spaß wie früher.
Wir erreichen schließlich die an der Baumgrenze liegende Malga Levi, von der ein Weg zur Malga Borche und dann durch den dichten Tannenwald zur Ortschaft Celledizzo im Pejotal führt. Wir vernichten auf diesen 10 Kilometern insgesamt 1.400 Höhenmeter, einfach nur super geil! Dann treffen wir auf unsere Strecke vom Alpencross 2006, auf Radweg geht’s hinab bis nach Fucine. Damals ging es auf dem Radweg weiter, wir müssen jetzt rechts ab nochmals hinauf, hinauf auf den Passo Tonale. Hier im Tal ist es verdammt heiß, das Thermometer bleibt bei 30 Grad im Schatten stehen. Zunächst eine kleine Pause, Wasser füllen und einfach nur Ruhe vor dem Sturm. Was auf dem Papier wieder mal so leicht aussieht, wird nach der bereits vollbrachten Anstrengung zur erneuten Qual.
Wir starten am Ortsausgang bei 1.000 Meter den ziemlich langwierigen Weg bergauf über die alte Militärstraße zum Tonale auf 2.020 Meter. Mittlerweile sind es 33 Grad im Schatten, glühende Hitze am Berghang. Die heiße Luft hat keine Chance zu flüchten, eingeschlossen wie in einem Talkessel wird es wärmer und wärmer und kein erfrischender Wind in Sicht. Die Schotterpiste wechselt sich ab mit Wiesentrails und Pfade, ein ständiges bergauf, und unsere Kräfte schwinden. Wir müssen öfter eine Pause machen und uns zwingen, immer wieder zu trinken. Die Lauferei am Passo Cercen hat uns doch schon viele Körner geraubt. Jetzt heißt es, nochmals alle Kräfte zusammen raufen um weiter, immer weiter hinauf zu kurbeln. Die Schwüle ist erdrückend. Es geht vorbei an Felsvorsprüngen, kleine Trails wechseln sich mit etwas breiteren Schotterwegen ab. So schlängelt sich der alte Militärweg dem Gipfel entgegen. Trotz Anstrengung können wir uns noch an der wunderschönen Landschaft faszinieren. Unsere Augen richten sich nach links und entdecken eine Bergformation, die immer noch in Schnee eingehüllt ist. Kein Wunder, diese Berggruppe gehört zu den Adamello-Presanella-Alpen. Der Cima Presanella ragt mit seinen 3.556 Meter über allen heraus. Fast daneben ragt der gewaltige Monte Adamello mit 3.554 Metern heraus. An einer alten Befestigungsanlage machen wir nochmals Rast, eine willkommene Erholung im Schatten.
Das Zwischenwerk «Mero» liegt in 1.838 Metern Höhe über der Tonalepassstraße auf dem Nordhang des Val di Sole. Das Werk «Mero» sicherte in der Sperre Tonale den ungedeckten Raum des zwei Kilometer unterhalb liegenden Werkes Strino, das zwar artilleristisch vom Werk Presanella gesichert werden konnte, wegen verschiedener toter Winkel jedoch Deckung gegen Infanterieangriffe aus Richtung Tonalepass benötigte. «Mero» wurde 1905 erbaut und von 1910 bis 1912 modernisiert. Die Bewaffnung bestand gemäß der Aufgabenstellung nur aus acht Maschinengewehren, ursprünglich vom «Typ M93», die später noch durch Maschinengewehre «Typ 07/12» ersetzt wurden. Nach 1920 ließ die italienische Armee die Anlage sprengen.
Heute können wir nur noch die Überreste besichtigen. Auf dem Bild sieht man die gewaltige Größe der Anlage im Verhältnis zu Jürgen, der daneben steht. Wir wissen, es ist nicht mehr weit, deshalb lassen wir uns etwas mehr Zeit und verlängern kurzer Hand die Pause. Der Körper bekommt die benötige Gelegenheit, sich zu regenerieren. Die letzen 6 Kilometer schaffen wir auch noch, der Weg wird etwas flacher und wir kommen dem Pass immer näher. Die ersten Skilifte sind am Hang sichtbar, den Ort Passo Tornale liegt weiter unten im Tal. Jetzt geht es nur noch bergab, es wird kälter und der Wind pfeift uns um die Ohren. Der Weg führt uns mitten durch das Skigebiet, auf Schotterstraßen rauschen wir hinab. Glücklich haben wir das Ziel erreicht und wir machen uns umgehend auf die Suche nach unserer Unterkunft. Ist nicht allzu schwierig, auf der Hauptstraße das Hotel Negritella zu finden.
Heute sind wir platt, ab ins Zimmer, eine ausgiebig heiße Dusche belebt uns wieder, eine paar Minuten auf dem Bett liegend hilft und es geht uns allmählich wieder besser. Der Magen knurrt, aber wir haben erst 17:00 Uhr. Also machen wir uns fertig zu einen kleinen Bummel durch den Ort. Es ist recht kühl hier oben.
Der Tonalepass (it.: Passo del Tonale, deutsch veraltet: Tunölpass) ist ein 1.884 Meter hoher Alpenpass in Italien, etwa auf halber Luftlinie zwischen Trient und der Berninagruppe (Grenze zur Schweiz). Der Pass liegt auf der Wasserscheide zwischen Po (das sind die Gewässer, die nach Westen fließen) und Etsch (das sind die Gewässer, die nach Osten fließen). Südlich des Tonalepasses schließt sich die Adamello-Gruppe mit der Bergkette der Presanella an, weiter im Norden die Ortler-Gruppe. Rings um den Pass hat man einen prächtigen Blick nach Süden zum Paradiso mit 2.600 Meter und circa 15 Kilometer weiter die Gipfel rings um den Adamello mit 3.554 Meter, während 3 Kilometer nördlich die zwei Gipfel des Monte Tonale auf 2.700 Meter liegen.
Unsere Blicke reichen heute leider nicht so weit, es zieht sich zu und wird immer bewölkter und kühler. In einem kleinen «Tante-Emma-Supermarkt» decken wir uns mit ein wenig Proviant ein: Für jeden eine 1,5 Literflasche Cola und 2 kleine Magnum Eis. Eine Tüte Chips und eine Tüte Gummibärchen für beide zusammen. Alle Strapazen sind vergessen. Auf einer Parkbank machen wir es uns gemütlich und eine halbe Stunde später ist die Einkaufstüte wieder leer. Allerdings Hunger haben wir jetzt, verständlicher Weise, kaum noch. Macht aber nichts, wir laufen gemütlich ans andere Ende des Ortes, das entspannt die Muskeln während der Magen viel zu vernichten hat.
Auf dem Pass gibt es ein italienisches Kriegsdenkmal (Monumento Ossario), das wir besichtigen. Im Gebirgskrieg 1915–1918 war der Pass Teil der Kriegsfront zwischen Italien und Österreich. Die Geschichte wird hier auf Schautafeln erläutert und an die vielen Toten gedacht.
Etwas später haben wir, wen wundert es, doch wieder Hunger und lassen uns das Abendessen im Hotel schmecken. Nicht ganz so üppig wie in den vergangen Tagen, dennoch gut. Uns hat es genügt, nach einem großen Glas Rotwein ist es auch mit der Bettschwere nicht weit…