Hoch auf über 3.000 m trotz Schneefall?
Zwischenstationen Tag 6
- Santa Catarina
- Rifugio Forni
- Rifugio Pizzini
- Passo Zebru
- Baita Pastori
- Fantelle
- Bormio
Zwischenstationen Tag 7
- Bormio
- Premadio
- Lago di Cancano
- Malge Pedenolo
- Brocchetta di Forcola
- Umbrail
- Dreisprachenspitze
- Furkelhütte
- Stilfseralm
- Grosshof
- Glurns
- Mals
Tour Beschreibung
Um es kurz zu machen: Das Wetter wird schlechter statt besser. Wir haben 7:30 Uhr und schauen enttäuscht aus dem Fenster! Dunkle Wolken verdecken die Sicht auf die Berge, Regen klatscht an die Fensterscheibe, eine düstere Stimmung macht sich breit.
Trotz alle dem wollen wir dennoch noch nicht aufgeben und beschließen, noch ein Weilchen im Bett zu bleiben. Die Kirchenuhr im Dorf schlägt 9:00 Uhr, wir gehen mit einem traurigen Gefühl Frühstücken. Keine Besserung der Wetterverhältnisse in Sicht. Der Hotelbesitzer, Herr Pedranzini, ist total nett und sehr zuvorkommend und leidet anscheinend mit uns. Sein Hotel ist eingeschworen auf Biker. Seine Tochter ist selbst Bike-Guide und er kann unsere Lage zu einhundert Prozent verstehen. Wir erklären ihm, dass wir heute eigentlich auf 3.001 Meter hoch zum Passo Zebru wollen. Er rät uns ab, da es heute Nacht da oben geschneit hat. Der Übergang und die Anfahrt sind nur auf schmalem Pfad zu meistern, schon schwierig genug bei schönem Wetter. Mit Schnee ist es auf dem Pass viel zu gefährlich! Wir wollen es nicht wahr haben. Wir können kurz einen Blick von unserem Fenster auf den Pass erhaschen, ich habe den Gipfel in einem Foto festgehalten.
Gestern haben wir bei unserem Abendspaziergang eine Touristen-Informationsstelle gesichtet, dort wollen wir jetzt erst mal nach dem Wetterbericht schauen. Unsere Stimmung sinkt auf den Tiefpunkt: Der Bericht für heute und die kommenden Tage: Es wird eher schlechter als besser, Schneefallgrenze sinkt auf 2.000 Meter!
Was machen wir? Es gibt mehrere Alternativen, wir müssen nur die Sinnvolle finden! Wir können heute bis Bormio auf der Straße fahren und es dann Morgen auf der letzten Etappe nochmals versuchen. Aber auch die Dreisprachenspitze, die wir erklimmen wollen, ist 2.900 Meter hoch, also Schneegefahr auf unbekanntem Terrain. Uns fällt es nicht leicht einfach so aufzugeben, aber unter den Umständen geht die Sicherheit vor! Traurig schauen wir uns gegenseitig an, mit einem Handschlag besiegeln wir das Unausweichliche: «Tour Abbruch»!
Was sollen wir jetzt tun? Ich bringe den Gedanken ein, den Jürgen bejaht: Wir versuchen per Bahn, Bus oder sonst wie zum Ausgangspunkt der Tour zurück zu kehren. Einfacher gesagt als getan. Die Bahn? Fehlanzeige! Kein Bahnhof weit und breit. Der nächste wäre 60 Kilometer entfernt in Tirano, von dort aus dauert eine Zugfahrt 10 Stunden um die Berge herum, und wir müssten dann nochmal 30 Kilometer zum Auto zurücklegen. Einfach sinnlos! Mit dem Bus? Dauert mindestens 10 Stunden auf vielen Umwegen und zudem noch unsicher bezüglich der Bikemitnahme! Und was jetzt? Herr Pedranzini hat eine Idee und ruft einen befreundeten Taxifahrer mit Ranch Rover an, der normalerweise Touristen auf die Gipfel scharrt. Er sagt zu und wollte uns um circa 14:00 Uhr bis nach Mals zum Hotel zurückfahren. Kostet insgesamt für beide allerdings 100,00 Euro. Das ist uns jetzt egal, denn wir haben schließlich auch zwei weitere Übernachtungen gespart und eine Zug- oder Busfahrt hat auch ihren Preis.
Es ist erst 11:00 Uhr, somit können wir im Regen einen Spaziergang machen, gemütlich ein Eis essen und unserer Traurigkeit freien Lauf lassen. Es ist ein saublödes Gefühl! Im Kopf will man es einfach nicht wahr haben, sucht ständig verzweifelt nach weiteren Alternativen. Unser gesunder Menschenverstand siegt letztendlich, zum Glück wie wir später noch herausfinden!
Wir packen unseren Rucksack, alle Bikeklamotten können wir ja getrost verstauen, ziehen unsere legeren kurzen Hosen an und sitzen Abfahrbereit in der Lobby des Hotels. Die italienische Pünktlichkeit lässt grüßen, um 14:15 Uhr kommt das Taxi, wir demontierten die Vorderräder und verstauen den Rest in den Rover. Passt, wackelt und hat Luft.
Zunächst geht es, natürlich im strömenden Regen, nach Bormio. Hier stellen wir uns an einer Autoschlange an. Aber warum dieser Stau? Es dauert nicht lange und uns kommen Hunderte Rennradfahrer und Begleitfahrzeuge entgegen. Heute fand ein Radrennen aufs Stilfster Joch statt. Doch wegen des Unwetters hat man das Ziel 500 Höhenmeter nach unten verlegt. Jetzt rollen alle Beteiligten den Weg wieder hinab nach Bormio. Nach einer halben Stunde wird die Strecke für den normalen Verkehr wieder geöffnet und wir fahren auf direktem Weg hoch Richtung Stilfster Joch .
Überall Muränen-Abgänge, das Wasser fließt gerade so über die Straßen. Ab und zu wird der Verkehr für kurze Zeit angehalten, Bauarbeiter stehen am Wegrand und versuchen krampfhaft, den übergelaufenen Bach am Überqueren der Straße zu hindern, meist erfolglos. Wir schlängeln uns eine Serpentine nach der anderen den Berg hinauf, bis wir gefühlte drei Stunden später oben an der Schweizer Grenze am Umbrail-Pass stehen. Geschlossen, wegen akuter Steinschlaggefahr und Straßenbeschädigung verursacht durch das aktuelle Unwetter. Und jetzt? Der Fahrer wusste, dass aus demselben Grund die Stilfster Joch Straße Richtung Prad gesperrt ist. Wir sitzen praktisch in der Falle. Das sind die zwei einzigen Wege hinunter ins Tal Richtung Hotel. Ich schaue Jürgen an und wir beschließen, uns einfach auf den Stelvio Pass fahren zu lassen. Oben versuchen wir es dann, mit den Bikes nach unten zu gelangen. Der Taxifahrer will 60,00 Euro, für die Pass-Tour von Bormio hinauf, ein fairer Preis. Die Bikes und unser Gepäck laden wir sehr schnell aus. Es schüttet aus allen Wolken und es ist bitter kalt. Wir fangen an zu zittern. Ein digitales Thermometer an einer der vielen leeren und verschlossenen Stände gibt uns Klarheit: 0 Grad auf 2.700 Meter! Auf den etwas höheren Bergen um uns herum können wir schneebedeckte Gipfel erkennen. Eine kleine Biergondel am Stelvio bietet uns Unterschlupf, denn wir müssen uns ja erst mal umziehen!
Mit Radfahren haben wir heute nicht mehr gerechnet. So stehen wir da, mit T-Shirt und kurzen Hosen, vor Kälte laut klappernd. Also schnell, Rucksack auf, alles wieder rausholen und wo immer möglich verteilen. Alle kurzen Sachen ausziehen, Bikeklamotten an, Regensachen an und den Rest wieder im Rucksack verstauen. Dick verpackt stehen wir da und es regnet und regnet. Wir zittern am ganzen Leib, als es plötzlich anfängt, von Regen in Schneeregen zu wechseln!
„Komm Jürgen, lass uns hier verschwinden um hinab ins Tal und damit in wärmere Gefilde zu gelangen.“
1-2-3 und los, zunächst an der Straßenabsperrung vorbei, die eine Durchfahrt für Autos unmöglich macht. Wir haben aber leichtes Spiel. Eine Kurve nach der anderen langsam anfahren, das Wasser schießt teilweise 5 cm hoch über die Straße hinab. Überall liegen herunter gekommene Steinbrocken. Der Grund, warum die Passstraße gesperrt ist, haben wir auch gefunden: Ein gewaltiger Steinschlag hat einen Teilabschnitt auf einer Länge von 50 Meter total verschüttet. Wir klettern mit unseren Bikes über die Steinbrocken. Es ist schon ein mulmiges Gefühl. Was soll man machen, wenn eine Steinlawine runter kommt, merkt man das überhaupt und wenn ja, wie schnell kann man reagieren? Wir wollen es nicht ausprobieren. Wahrscheinlich ist man dann machtlos, also Augen zu und durch.
Je näher wir ins Tal kommen, desto besser wird das Wetter und desto weniger regnet es. Ein Gutes hat das Ganze ja, wir haben die Passstraße für uns alleine, ein Auto kann unmöglich kommen. So können wir jede Serpentine schön anschneiden und so wenigstens die Abfahrt ein klein wenig genießen. Unten in Prad hat es doch tatsächlich aufgehört zu regnen. Jetzt müssen wir noch circa 10 Kilometer auf dem Radweg nach Mals. Dunkle Wolken sind unser stetiger Begleiter, durch die dicken Klamotten kommen wir sehr schnell ins Schwitzen. Was uns auf der Abfahrt vor dem Erfrieren gerettet hat, stört jetzt gewaltig, aber nochmals anhalten und alles wieder ausziehen wegen den paar Kilometer, wollten wir jetzt auch nichts mehr.
Geschafft: Wir stehen in Mals an unserem Hotel «Malserhof», auch mein Auto steht unversehrt auf seinem Platz. Also jetzt schnell raus aus den feuchten Klamotten, umziehen, Bikes aufs Dach verstauen und los geht die Reise wieder nach Hause. Das Navigationsgerät sagt 23:30 Uhr als Zielzeit voraus – na dann, gute Fahrt. Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Kaum habe ich das Auto gestartet, muss ich noch das Fenster herunter lassen und schnell ein Bild machen: Vom einsetzenden Regen!!!
Wir fahren durch Nebel, Regen und dunklen Wolken dem Reschenpass entgegen. Ich stelle einen deutschen Sender im Radio ein, um ein wenig zu entspannen, da höre ich mit entsetzten folgende Nachricht: „Am gleichen Wochenende unseres Abbruchs sind auf der Zugspitze durch plötzlichen Wintereinbruch drei Läufer bei einem Extremlauf ums Leben gekommen und mehrere wegen Unterkühlung zusammen gebrochen!“
Ich übermittle Jürgen schnell die Nachricht, dann geben wir uns die Hand: Haben wir doch alles richtig gemacht! Der Rest der Heimfahrt ist Routine….
Vielen Dank fürs Mitlesen
Das wäre der 6.Tag gewesen:
Das wäre der 7.Tag gewesen: