2008-Tag 5: Passo Tonale -> Santa Catarina


Gesamte Tourdaten
252 km – ↑ 9.792 hm – ↓ 10.617 hm – 5 Tage


Etappenlänge
43 km – ↑ 1.645 hm – ↓ 1.779 hm – Fahrzeit: 3:52 Std.


Zwischenstationen


Tour Beschreibung

Es hat über Nacht geregnet. Die Wolken hängen morgens noch sehr tief. Wir setzen uns ans Frühstück und es nieselt leicht. Ist ab heute unser Glück aufgebraucht? Wir hoffen nicht und weil die Hoffnung als letztes stirbt, klart es ein wenig auf und der Tag beginnt bei unserer Abreise doch noch ohne Regen!

Heute erklimmen wir zuerst das Refugio Negritella, dann über den Gipfel und wieder hinab nach Pezzo. Von dort aus auf Straße dem einzigen Übergang, dem Gavia Pass nach Santa Catarina. Doch soweit sind wir noch lange nicht, erst mal wieder alles packen, die Räder warten und der Tourtag beginnt. Wir kommen wieder am alten Kriegsdenkmal vorbei, welches wir gestern Abend besichtigt hatten. Dann biegt der Weg rechts ab und unser Navigationsgerät schickt uns quer durch das Skigebiet. Hier folgt eine Schiebepassage hinauf zu den Bergstationen der Skilifte des Passo Tonale. Sehr grober, tiefer Schotter begleitet uns bis nach oben. Es ist anstrengend, die Muskeln werden warm, die Lunge pumpt anständig Sauerstoff, das Herz beginnt seinen alltäglichen Rhythmus zu finden. Der ganze Pass ist ein einziges Skiparadies mit weit über 10 Liftanlagen. Das schöne ist aber, dass die grüne Vegetation erhalten bleibt und keine Geröllhalden entstanden sind. Wir steigen auf grobem Schotter den Berg hinauf und genießen das Wolkenspiel, das sich uns darbietet.

Bald wechselt der Schotter in einen Wiesenpfad. Durch den Regen und den Tau am Morgen ist die Wiese sehr nass, und bald auch unsere Schuhe. Aber egal, weiter geht es, jetzt öfter mal fahrend auf den Höhen der Bergflanke, bis dass uns die Steigung ein Schnippchen schlägt. Auf einem Kilometer müssen wir 22% Steigung im Durchschnitt erklimmen, maximal zeigt mein Tacho sogar 32% an – brutal. Immer durch die nasse Wiese, kaum den Pfad findend. War hier vor uns noch niemand? Vorbei an einer Schafherde immer weiter hinauf. Der Blick hinab und zurück auf den Pass, ein tolles Bild. Der Nebel steigt empor und ich schieße ein Foto von Jürgen, man könnte meinen, er hat das Ende der Welt gefunden!

Teils fahrend, teils schiebend erreichen wir eine kleine, verfallenen Ruine. Dort gehen drei Wege in dieselbe Richtung, einer hoch, einer bleibt auf unserer Ebene, einer geht runter. Da die Wege sehr eng beieinander liegen, kann auch das GPS keine genau Aussage treffen. Eine topographische Karte von diesem Gebiet habe ich nicht auf meine Gerät, digitales Kartenmaterial gibt es kaum. Auf unserer Papierlandkarte sind nur zwei Wege davon eingezeichnet. Da wir von hier aus ins Tal runter nach Pezzo müssen, entscheiden wir uns für den unteren Weg. Ein kleiner Trail führt am Hang entlang, toll zu fahren, doch auf einmal macht der Weg einen Linksknick und führt wieder zurück, nur 80 Höhenmeter tiefer. Das Stimmt so nicht, denn laut Navi müssen wir noch gerade aus. Also haben wir uns vorhin für den falschen Weg entschieden. Alles wieder Retour und zurück zum Ausgangspunkt an der Ruine.

Der obere Weg von den Dreien kann es nicht sein, denn der führt laut einem aufgemalten Hinweis zum Rifugio Bozzi. Diese Gebiet kennen wir vom Alpencross 2006, von dort aus geht es weiter sehr steil hoch zur Montozzo Scharte. Wir nehmen den daraus resultierend mittleren Weg und so sind wir wieder richtig. Es folgt ein sehr enger und verblockter Pfad, anfangs gibt es kaum Möglichkeiten zu biken. Wir laufen weiter, bis der Weg auf einmal dann doch in einen super Trail endet. Den hatten wir so nicht erwartet, denn mit viel Flow auf einer Wiese führt der Weg hinab. Es sieht so aus, als hätten die Einheimischen hier extra für uns einige Abschnitte, besonders die Kurven, gemäht. Ein absoluter Traum. Unendliche Kurven und Rechts- Linkskombinationen, wir durchqueren kleine Bachläufe, mal Schotter, mal Wiese, lassen es rollen, es ist alles fahrbar! Einfach nur Spitze! Wir haben die Serpentinen nicht gezählt, es sind auf jeden Fall mehr als hoch zum Stilfser Joch! Der enge, kleine Pfad wird breiter, immer mehr Bäume statt Wiesen, wir fahren durch einen Wald, bis der Weg schließlich in Pezzo endet. Das waren jetzt 5 Kilometer und circa 14% Gefälle mit reinstem, unerwartetem Vergnügen! Hier sind wir auch schon 2006 vorbei gekommen und weiter zum Refugio Bozzi, heute heißt es, den kompletten Gavia Pass zu bezwingen. Zuerst machen wir aber hier an einem kleinen Rastplatz mit Brunnen Pause und füllen unsere Flaschen auf. Aber das Wetter scheint sich zu verschlechtern. Tiefe, dunkle Wolken am Himmel, die Bergspitzen lassen sich nur erahnen. Wir sind auf einer Höhe von 1.470 Meter und müssen hoch zum Pass auf 2.625 Meter. Da oben kann das Wetter schnell umschlagen, was wir im Sommer 2006 erlebt hatten. Damals gab es einen Wintereinbruch mit Neuschnee, und das auch am Gavia Pass, hoffentlich kein schlechtes Omen.

Auf den kommenden 12 Kilometer müssen wir im Schnitt 8,5% Steigung bewältigen. Das ist im Vergleich zu den vergangen Tagen ein Kinderspiel. Auch wenn es zwischendurch mal 14% sind, auf Straße geht es doch viel einfacher. Aufgrund des schlechten Wetters ist nicht viel Betrieb, ab und zu ein Auto, viel öfter ein paar Motorräder. Wir erklimmen Serpentine für Serpentine, pausieren ab und zu für ein Foto. Auf dem Straßenbelag stehen oft Namen vergangener Rad-Legenden: Basso, Pantani und viele, für uns unbekannte, mehr. Der «Giro Italia» hat den Pass öfter im Programm, man denkt unweigerlich an die Heldentaten der früheren Tage und fühlt sich wie ein Radprofi. Nur lange nicht so schnell!

Die erst Ende der 1990er-Jahre durchgängig asphaltierte Südrampe, auf der wir unterwegs sind, weist einige sehr enge Kehren und eine teilweise nur 1,5 bis 3 Meter breite Fahrbahn auf. Für den entgegen kommenden Verkehr gibt es nur ein paar Ausweichstellen. An verkehrsreichen Tagen kann es insbesondere auf dieser Südseite zu schwierigen Verkehrssituationen kommen, da hier auf einigen Abschnitten ein Passieren von zwei sich begegnenden Fahrzeugen unmöglich ist. Wir kommen an den etwa 800 Meter langen Tunnel, der als Umfahrung dient. Die alte Straße ist noch erhalten, ideal dem Verkehr auszuweichen und den Tunnel zu umfahren.

Die Galerie ist wunderschön, links große Felswände, rechts der mit einem Gitter abgesperrte tiefe Abgrund. Fotostopp. Mist, es fängt leicht an zu nieseln, die Wolken werden immer bedrohlicher, der Wind heftiger. Wir legen einen Zahn zu, nur noch 1-2 Kilometer , dann haben wir es geschafft. Der Nebel zieht sich zu und in weiter Ferne ertönen die ersten gewaltigen Donnerschläge. Jetzt nichts wie hinauf zum Gipfel. Die Beine brennen. Im Wiegetritt und völlig abgekämpft erreichen wir den Pass. Während wir schon Platz nehmen am warmen Ofen der Hütte, fängt es richtig an zu schütten. Gerade nochmal Glück gehabt. Das Rifugio kennen wir vom Alpencross 2006, dort haben wir eine unvergessliche Nacht verbracht. Erinnerungen werden wieder wach.

Blitze durchziehen die kalte Luft und der Regen prasselt an die Scheibe. Haben wir ein Glück, hier einigermaßen trocken zu landen, Schweiß und durchnässte Schuhe zähle ich jetzt nicht mit. Zuerst einmal was zu Trinken und die leckeren Panini mit Schinken. Das Schauspiel draußen scheint nicht enden zu wollen. Immer wieder Blitze mit anschließenden Donnerschlägen, die einem das Fürchten lehren. Oben in den Bergen sind die Blitze doppelt so hell und der Donner dreifach so laut wie Zuhause. Wenn man bei so einem Unwetter draußen zwischen den Felsen kauert, bekommst man das Fürchten gelehrt.

Wir sitzen jetzt schon über eine Stunde hier oben und es scheint sich draußen einzuregnen. Was sollen wir machen? Wir haben nur noch circa 13 Kilometer bergab nach Santa Catarina. Die Hütte ist brechend voll, Wanderer, Radler, Motorradgruppen und Autotouristen drängen sich in den kleinen Raum. Das Gewitter scheint sich ein wenig zu beruhigen, wir reden uns das auf jeden Fall ein und entschließen, uns auf den Weg zu machen. Die Regenklamotten raus aus dem Rucksack, dick einpacken, denn ist merklich kälter geworden. Wir schwingen uns auf die Räder, ziehen den Kopf in den Nacken und lassen es rollen. Ab und zu erhellt ein Blitz und gleich danach grollt der Donner und wir mitten drin. Ist es der Angstschweiß oder der Regen, der über die Stirn läuft? Ich will das jetzt gar nicht näher diskutieren!

Endlich, nach vielen Serpentinen und wasserüberfluteten Straßen und 880 Höhenmeter auf 10 Kilometer weiter unten erreichen wir Santa Catarina. Unser Sporthotel Pedranzini liegt direkt an der Hauptstraße und ist nicht zu verfehlen. Jetzt heißt es nur, schnell die Zimmer beziehen und eine schöne heiße Dusche nehmen. Es war wieder einmal ein erlebnisreicher Tag mit anstrengenden Aufstiegen, tollen Trails und einer unvergesslich bleibenden Gewitterabfahrt. Jürgen und ich sind uns einig, so ein Gewitter wollen wir nicht in freier Natur und luftiger Höhe erleben. Wir ruhen uns ein halbes Stündchen aus, bevor wir das Abendessen antreten. Es erwartet uns eine vorzügliches Abendmahl, natürlich mit Weizenbier und Grappa, ist doch klar! Das Hotel biete auch einen kostenlosen Wäscheservice an, den wir dankend annehmen. Auch unsere durchnässten Schuhe werden im Heizungskeller getrocknet. Es wird draußen etwas ruhiger, der Regen weniger und wir wagen einen kleinen Abendspaziergang. Dieser wird nach einer halben Stunde wegen Regen unterbrochen.

Ein altes Hausmittel gegen Schlafstörungen haben wir vor dem Bettgehen noch zu uns genommen: „unsere tägliche Ration Weizenbier“ . Die Nacht verläuft unruhig, das Gewitter will einfach nicht aufhören. Es blitzt und donnert die ganze Nacht durch, wenigstens solange, bis ich irgendwann doch einschlafen kann. Es folgt eine sehr unruhige Nacht…


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